Jetzt geht’s los. Die Verhandlungen über das Honorar der niedergelassenen Ärzte beginnen. Die Kassen haben sich schon längst in Stellung gebracht. Wenn es halbwegs normal zuginge, hätten sie es dabei ziemlich schwer, denn inzwischen dürfte auch der Letzte bemerkt haben, dass die freien Arztpraxen vor existenziellen Problemen stehen und endlich einmal messbare Honorarzuwächse erhalten müssen, um die gestiegenen Kosten zumindest ein bisschen auszugleichen.
Dagegen wappnen sich die Krankenkassen schon seit Beginn des Jahres. Sie verteilen zum Beispiel Positionspapiere an die Zeitungsredaktionen, die wortreich erklären: „Die Ergebnisse zeigen, dass in den letzten Jahren zwar die Praxisaufwendungen deutlich gestiegen sind. Gleichzeitig erhöhten sich jedoch auch die Einnahmen, insbesondere aus der Tätigkeit für die GKV. In der Summe führte dies zu einer überdurchschnittlichen Steigerung der Jahresüberschüsse der Vertragsärzteschaft sowie der niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.“ Der Bundesrechnungshof wird in die Kampagne ebenso einbezogen wie befreundete Redaktionen und das Statistische Bundesamt.
Vermutlich könnten sich die Krankenkassen die Mühe aber auch sparen. Denn durch die Besonderheiten der Kassenarzthonorierung bleibt in den Verhandlungen wenig Spielraum. Abrechnungsspezialist und ÄND-Kolumnist Gerd W. Zimmermann bringt es auf den Punkt: „Die Entscheidung ist (eigentlich) schon gefallen.“
Der Grund: Selbst wenn der Orientierungspunktwert, nach dem die Ärzte bezahlt werden, steigen würde, wird das Honorar der Praxen nicht erhöht. Schließlich wird die Obergrenze des Honorars für alle Ärzte auch noch durch die „morbiditätsbedingte Gesamtvergütung“ (MGV) begrenzt.
Diese Gesamtvergütung, also das globale Budget, wird dieses Jahr aufgrund der Festlegungen des gemeinsamen Bundesausschusses ziemlich mager ausfallen und damit wird es in vielen KVen zu Honorarverlusten führen und in keiner KV zu einer angemessenen Erhöhung.
Die meisten Ärzte werden sich also trotz Inflation mit niedrigeren Honoraren konfrontiert sehen. Viele werden das aus finanziellen oder mentalen Gründen zum Anlass nehmen, vorzeitig aus dem Kassenarztwesen auszusteigen. Sollte das nicht Anlass sein, einmal darüber nachzudenken, was man bei vorherigen Verhandlungen mit den Kassen falsch gemacht hat?
Verschachtelte Komplexgeschäfte sind der Weg in den Abgrund
Gerd Zimmermann weist zurecht darauf hin, dass das grundlegende Problem der aktuellen Honorarverhandlungen von der KV-Seite selbst erschaffen wurde. Es ist ein „Vermächtnis“ des damaligen KBV Vorsitzenden Köhler in Form des von ihm erfundenen EBM.
Wir erinnern uns: Unmengen von Geld, Energie und politischem Engagement wurden Anfang der 2000er Jahre von der Ärzteseite aufgewandt, um einen betriebswirtschaftlich fundierten Bewertungsmaßstab zu konstruieren. Der Grundfehler dieses Mammutprojekts bestand darin, zu leugnen, dass hinter der Unterfinanzierung der Praxen ein politischer Wille steht, den man nur mit robusten Aktionen wie Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen hätte brechen könnte. Doch die Ärzte unterstellten Politik, Kassen und Öffentlichkeit lieber Informationslücken als bösen Willen.
Das Ergebnis ist ein hyperkompliziertes Berechnungssystem, in dessen Wirren die KVen sich jetzt selbst verheddert haben. Es sieht so aus, als würden Ärzte diesen Fehler lieben, weil sie hoffen, so die direkte Konfrontation zu vermeiden. Denn es gibt noch mehr Beispiele, in denen ärztliche Verhandlungsführer sich lieber auf unübersichtliche Neuregelungen einlassen, statt höhere Honorare zu fordern.
Die Koppelung der versprochenen Entbudgetierung der Hausärzte an eine Umgestaltung des Hausarzt-Kapitels im EBM, an völlig neue Gebührenkomplexe, Vohalte- und Jahrespauschalen sind ein weiteres Beispiel für diese Misserfolg versprechende Strategie.
Auch die Bundesärztekammer macht nichts Anderes, wenn sie bei der Reform der GOÄ nicht einfach eine angemessene Erhöhung der Preise privatärztlicher Tätigkeit einfordert, sondern stattdessen zusammen mit den Privatkassen eine komplett neue GOÄ aufsetzt. Wenn die gesamte Struktur geändert wird, lässt sich die Wertentwicklung einzelner Leistungen nicht direkt vergleichen. Mit wenigen Stellschrauben kann die Politik ebenso wie damals beim EBM das gewünschte Ergebniseinstellen. Man muss die neue GOÄ nicht gelesen haben, um zu wissen, dass die Ärzte die Verlierer dieser verschachtelten, überkomplexen Gebührenordnung sein werden.
Wer wirklich einen höheren Preis für seine Leistung erzielen will, müsste kämpfen wie ein Eisenbahner, statt sich im Wust eines selbstgebastelten arachnoiden Regelungswerkes zu verheddern.
Kardinalfehler: Mehrleistung im Voraus ohne Kaufvertrag
Dass man eine Erhöhung des Honorars, die an eine Mehrleistung geknüpft ist, nicht als Inflationsausgleich ansehen sollte, hat sich inzwischen vielleicht herumgesprochen. Doch es gibt noch andere Fehler. Zum Beispiel das Erbringen von erwünschten, aber nicht bestellten Vorleistungen.
Liefern ohne Kaufvertrag und Vorkasse ist ein ökonomisch sehr seltsames Verhalten. Jeder Kaufmann, der eine Ware, die der Kunde gerne hätte, aber irgendwie nicht bezahlen will, trotzdem liefert, ohne vorher einen präzisen Kaufvertrag geschlossen zu haben, würde vor Gericht immer scheitern und von allen Zuschauern bestenfalls für naiv gehalten werden. Doch von der ärztlichen Seite wurden in der Vergangenheit viel zu oft Vorleistungen geliefert, deren Bezahlung vorher nicht geregelt wurde.
So erbrachten Ärzte Impfleistungen und halfen der planlosen Regierung in der Pandemie aus der Not, ohne dass die Bezahlung – in Geld und Entgegenkommen -vorher detailliert vertraglich fixiert wurde.
KVen organisieren Notdienste und Notfallpraxen, ohne das zuvor eine dauerhafte und ausreichende Honorargarantie verhandelt wurde. Sie wirken in Zulassungssauschüssen mit, wenn neue Kassenarztsitze, z.B. für Pädiatrie und Rheumatologie geschaffen werden, ohne dass dies vollständig in der Gesamtvergütung berücksichtigt wird. Das sind nur einige Beispiele, in denen die Ärzte gegenüber den Kassen in Vorleistung gehen. Mit ziemlicher Regelmäßigkeit hebt in diesen Fällen nach einiger Zeit ein großes Wehklagen der Ärzte an, weil die Kassen gar nicht daran denken, die erbrachten Leistungen auch zu bezahlen.
„Das Geld muss der Leistung folgen!“ Dieser Satz ist für den Normalo schwer verständlich, weil kein Bürger nachvollziehen kann, warum die Ärzte so matt auf organisierte Zechprellerei reagieren.
No Fraternization!
Krankenkassen zeichnen sich nicht durch besonders ausgeprägten Respekt vor ihren Hauptleistungsträgern aus. So nennt der GKV Verwaltungsrat die existentiellen Sorgen der Praxen eine „Ritualisierte Kritik der Ärzteschaft an einer unzureichenden Finanzierung“.
Vor jeder Honorarrunde hört man von der Kassenseite Herabsetzungen in großer Menge. Das treibt nicht nur den Blutdruck der Ärzte in die Höhe, sondern ist auch ein langsam wirkendes Gift, das die positive Meinung der Bevölkerung über die Ärzte zersetzen soll.
Warum eigentlich zahlen die Verhandlungsführer der Ärzte nicht mit gleicher Münze zurück? Woher bloß kommt das viele Verständnis, das Ärzte für die Sorgen der Kassen aufbringen? Dass einige Kassen nur mit Hilfe der anderen überleben können und deshalb gierig auf die von den Ärzten ausgestellten ICD Kodierungen sind, wird kaum ernsthaft hinterfragt. Noch weniger wird die Abhängigkeit der Verliererkassen von den ärztlichen Kodierungskünsten ausgenutzt. Kaum jemand stellt ernsthaft die Existenz von immer noch fast 100 Krankenkassen in Frage. Den Existenzsorgen von Krankenkassen wird von der Ärzteseite erstaunlich oft mit viel Verständnis begegnet.
Auch die Reaktion auf die Jammerei der Kassen über erhöhte Beitragssätze ist erstaunlich defensiv. Warum gibt es von der Ärzteseite nicht täglich den Hinweis, dass in jeder ordentlichen Firma wirtschaftliche Schwierigkeiten dazu führen, Verwaltungs-Wasserköpfe zu beschneiden?
Höflichkeit und gutes Benehmen sind immer in Ordnung. Aber wenn Honorarverhandlungen Erfolg haben sollen, dürfen die Leistungsträger auf keinen Fall mehr Verständnis für ihre bürokratischen Verhandlungspartner aufbringen als die für sie.
Die bittere Wahrheit hinter allem ist: Ohne massiven Druck sind die „Verhandlungen“ über die Arzthonorare 2025 schon gelaufen. Und das kann keinen Bürger kaltlassen. Denn möglicherweise wird das freie Vertragsarztwesen die reale Nullrunde in 2025 nicht mehr überstehen.
ÄND-Kolumne Autor: Dr. Matthias Soyka